Der menschliche Körper: Nervensystem
Das Zentrale Nervensystem besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Es ist verantwortlich für die zentrale Reizverarbeitung und die Integration sowie Koordination der aus der Peripherie einlaufenden sensorischen Reize. Zudem ist es der Ort der willkürlichen Motorik und sowohl des unbewussten als auch des bewussten Denkens.
Das Gehirn ist das zentrale Steuerorgan des Nervensystems und verantwortlich für die Verarbeitung sensorischer Informationen, die Kontrolle motorischer Funktionen sowie kognitive Prozesse wie Denken, Erinnern und Emotionen. Es verbraucht etwa 20 % der Nährstoffe und des Sauerstoffs des Körpers und erhält ca. 15 % des Herzzeitvolumens, was etwa 700 ml Blut pro Minute entspricht. Unter Normalbedingungen ist der zerebrale Stoffwechsel fast ausschließlich auf Glucose und Sauerstoff angewiesen.
Anatomie des Gehirns
Das Gehirn besteht aus mehreren Hauptstrukturen, die jeweils spezifische Funktionen erfüllen:
Großhirn (Cerebrum)
- Aufbau: Das Großhirn ist in zwei Hemisphären unterteilt, die durch den Corpus callosum (Balken) miteinander verbunden sind. Jede Hemisphäre ist weiter in vier Lappen unterteilt: Frontallappen, Parietallappen, Temporallappen und Okzipitallappen.
- Funktion:
- Frontallappen: Zuständig für kognitive Funktionen wie Planung, Entscheidung und Problemlösung sowie für die Kontrolle von Bewegungen.
- Parietallappen: Verarbeitet sensorische Informationen wie Berührung, Temperatur und Schmerz.
- Temporallappen: Wichtig für das Hörvermögen, das Sprachverständnis und das Gedächtnis.
- Okzipitallappen: Verantwortlich für die Verarbeitung visueller Informationen.
Zwischenhirn (Diencephalon)
- Thalamus: Dient als Relaisstation für sensorische Informationen, die an die Großhirnrinde weitergeleitet werden.
- Hypothalamus: Reguliert grundlegende Körperfunktionen wie Hunger, Durst, Temperatur und den Schlaf-Wach-Rhythmus. Er steuert auch das endokrine System über die Hypophyse.
Kleinhirn (Cerebellum)
- Funktion: Das Kleinhirn ist für die Koordination von Bewegungen, das Gleichgewicht und die Feinmotorik zuständig. Es hilft, Bewegungsabläufe zu speichern und zu automatisieren.
Hirnstamm
Der Hirnstamm besteht aus Mittelhirn (Mesencephalon), Brücke (Pons) und Medulla oblongata.
- Mittelhirn: Wichtig für die visuelle und auditive Reflexverarbeitung.
- Pons: Verbindet verschiedene Teile des Gehirns miteinander und spielt eine Rolle bei der Kontrolle der Atmung.
- Medulla oblongata: Regelt lebenswichtige Funktionen wie Herzschlag, Atmung und Blutdruck.
Blutversorgung des Gehirns
Das Gehirn wird durch ein komplexes Netzwerk von Blutgefäßen versorgt. Die Hauptarterien, die das Gehirn versorgen, sind die A. carotis interna und die A. vertebralis. Diese Arterien bilden den Circulus arteriosus (Kreislauf von Willis), der eine gleichmäßige Blutversorgung sicherstellt.
Schutzmechanismen des Gehirns
Das Gehirn ist durch mehrere Strukturen geschützt:
- Schädelknochen: Bieten mechanischen Schutz gegen physische Einwirkungen.
- Hirnhäute (Meningen): Drei Schichten (Dura mater, Arachnoidea mater und Pia mater) umgeben das Gehirn und bieten zusätzlichen Schutz und Stabilität.
- Blut-Hirn-Schranke: Eine selektiv durchlässige Barriere, die das Gehirn vor schädlichen Substanzen im Blut schützt und den Austausch von Nährstoffen und Abfallprodukten reguliert.
- Liquor cerebrospinalis (Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit): Diese Flüssigkeit umgibt das Gehirn und das Rückenmark und dient als Polster gegen Stöße und als Transportmedium für Nährstoffe und Abfallprodukte.
Funktionen des Gehirns
Das Gehirn steuert eine Vielzahl von Funktionen, die in verschiedene Kategorien unterteilt werden können:
Kognitive Funktionen:
- Denken und Lernen: Verarbeitung und Speicherung von Informationen, Problemlösung und Entscheidungsfindung.
- Gedächtnis: Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis sowie die Fähigkeit, Erinnerungen abzurufen und zu verarbeiten.
- Sprache: Sprachverständnis und Sprachproduktion, überwiegend in den Bereichen des Broca- und Wernicke-Zentrums lokalisiert.
Motorische Funktionen:
- Willkürliche Bewegungen: Planung und Ausführung von Bewegungen durch das motorische Kortex.
- Koordination: Feinabstimmung von Bewegungen durch das Kleinhirn.
Sensorische Funktionen:
- Verarbeitung sensorischer Reize: Interpretation von Signalen aus den Sinnen wie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten.
- Integration sensorischer Informationen: Kombination und Interpretation von Sinneseindrücken, um ein vollständiges Bild der Umwelt zu erstellen.
Emotionale und soziale Funktionen:
- Emotionen: Steuerung und Verarbeitung von Gefühlen durch das limbische System.
- Soziale Interaktion: Verarbeitung sozialer Signale und Steuerung des Verhaltens in sozialen Kontexten.
Das Rückenmark besteht aus Nervenfasern der afferenten (hinführenden) und efferenten (wegführenden) Nervenzellen des ZNS. Es ist von Rückenmarkshäuten umgeben, die aus einer harten und einer weichen Schicht bestehen. Von außen nach innen sind dies das Periost, die Pachymeninx spinalis (“harte Rückenmarkshaut”) und die Leptomeninx spinalis (“weiche Rückenmarkshaut”), die ähnlich aufgebaut sind wie die Hirnhäute. Während des Wachstums des Menschen wächst die Wirbelsäule schneller als das Rückenmark, weshalb das Rückenmark auf Höhe des ersten oder zweiten Lendenwirbels endet. Aus diesem Grund erfolgen Lumbalpunktionen erst unterhalb des Rückenmarks.
Im Querschnitt zeigt das Rückenmark eine schmetterlingsähnliche graue Substanz, die von weißer Substanz umgeben ist. Die weiße Substanz besteht aus den Fortsätzen der Nervenzellen (Axone und Dendriten), während die graue Substanz vor allem die Zellkörper der Rückenmarksneurone, viele Interneurone und Gliazellen enthält. Diese Interneurone ermöglichen die direkte Verbindung und Beeinflussung zwischen einzelnen Nervenzellen. Die Ausziehungen der grauen Substanz im Querschnittsbild werden auch als “Hörner” bezeichnet.
Die Erregungsleitung ist ein zentraler Prozess im Nervensystem, der die Übertragung von Signalen entlang der Nervenzellen ermöglicht. Dieser Prozess basiert auf elektrischen und chemischen Veränderungen in den Membranen der Nervenzellen (Neuronen).
Ruhepotential
Jede Zellmembran einer Nervenzelle hat ein sogenanntes Ruhepotential, das durch eine ungleiche Verteilung von Ionen innerhalb und außerhalb der Zelle entsteht. Das Ruhepotential beträgt etwa -60 bis -100 mV, wobei die Innenseite der Zellmembran negativ und die Außenseite positiv geladen ist.
Mechanismen:
- Natrium-Kalium-Pumpe: Diese Ionenpumpe transportiert aktiv Natriumionen (Na⁺) aus der Zelle und Kaliumionen (K⁺) in die Zelle. Dies trägt maßgeblich zur Aufrechterhaltung des Ruhepotentials bei.
- Kalium-Leckkanäle: Diese Kanäle ermöglichen es Kaliumionen, die Zelle zu verlassen, was die negative Ladung im Zellinneren aufrechterhält.
Aktionspotential
Wenn ein Reiz stark genug ist, um das Schwellenpotential zu erreichen, kommt es zur Bildung eines Aktionspotentials. Dies ist die elektrische Fortleitung eines Signals entlang der Nervenzelle.
Ablauf:
Depolarisation:
- Ein ausreichend starker Reiz führt zur Öffnung spannungsgesteuerter Natriumkanäle, was zu einem schnellen Einstrom von Natriumionen (Na⁺) in die Zelle führt.
- Dies verursacht eine Umkehrung des Membranpotentials, bei der die Innenseite der Membran positiv und die Außenseite negativ wird.
Repolarisation:
- Nach Erreichen des Spitzenwerts des Aktionspotentials schließen sich die Natriumkanäle und spannungsgesteuerte Kaliumkanäle öffnen sich.
- Kaliumionen (K⁺) strömen aus der Zelle, was zur Wiederherstellung des negativen Membranpotentials führt.
Hyperpolarisation:
- Die Kaliumkanäle schließen sich langsamer, was zu einem kurzzeitigen Überschreiten des Ruhepotentials führt (Hyperpolarisation).
- Die Natrium-Kalium-Pumpe stellt schließlich das Ruhepotential wieder her.
Refraktärzeit
Während und unmittelbar nach einem Aktionspotential ist die Nervenzelle vorübergehend nicht erregbar. Diese Phase wird als Refraktärzeit bezeichnet und unterteilt sich in:
- Absolute Refraktärzeit: Während dieser Phase kann kein neues Aktionspotential ausgelöst werden, egal wie stark der Reiz ist.
- Relative Refraktärzeit: In dieser Phase ist die Erregbarkeit der Zelle reduziert, und ein stärkerer Reiz als gewöhnlich ist notwendig, um ein neues Aktionspotential zu erzeugen.
Weiterleitung des Aktionspotentials
Das Aktionspotential wird entlang des Axons der Nervenzelle fortgeleitet. Es gibt zwei Haupttypen der Erregungsleitung:
Kontinuierliche Erregungsleitung:
- Tritt in nicht-myelinisierten Axonen auf.
- Das Aktionspotential breitet sich kontinuierlich entlang des gesamten Axons aus.
Saltatorische Erregungsleitung:
- Tritt in myelinisierten Axonen auf, bei denen das Axon von Myelinscheiden umgeben ist, die von Schwann-Zellen (im PNS) oder Oligodendrozyten (im ZNS) gebildet werden.
- Die Myelinscheiden isolieren das Axon elektrisch, unterbrechen es jedoch an regelmäßigen Abständen, den Ranvier’schen Schnürringen.
- Das Aktionspotential „springt“ von einem Schnürring zum nächsten, was die Geschwindigkeit der Erregungsleitung erheblich erhöht.
Synaptische Übertragung
Die Erregungsleitung endet an den Synapsen, den Verbindungsstellen zwischen Neuronen oder zwischen Neuronen und Effektorzellen (z.B. Muskelzellen). Die Übertragung des Signals an Synapsen kann elektrisch oder chemisch erfolgen.
Elektrische Synapsen:
- Direkte Weiterleitung des Aktionspotentials durch Gap Junctions.
- Ermöglichen eine schnelle und bidirektionale Signalübertragung.
Chemische Synapsen:
- Häufigster Synapsentyp im Nervensystem.
- Das Aktionspotential führt zur Freisetzung von Neurotransmittern aus synaptischen Vesikeln in den synaptischen Spalt.
- Die Neurotransmitter binden an Rezeptoren auf der postsynaptischen Membran und erzeugen ein postsynaptisches Potential (exzitatorisch oder inhibitorisch).
Neurotransmitter und ihre Funktion
Hauptneurotransmitter:
- Acetylcholin: Wichtig für die Übertragung von Signalen an neuromuskulären Synapsen und im autonomen Nervensystem.
- Glutamat: Hauptsächlich exzitatorischer Neurotransmitter im zentralen Nervensystem.
- GABA (Gamma-Aminobuttersäure): Hauptsächlich inhibitorischer Neurotransmitter im zentralen Nervensystem.
- Dopamin, Serotonin, Noradrenalin: Modulatoren verschiedener zentralnervöser Prozesse, wie Stimmung, Belohnung, Aufmerksamkeit und viele andere.
Das Periphere Nervensystem umfasst alle Nervenzellen und -fasern außerhalb des Schädels und des Wirbelkanals und verbindet das ZNS mit den Effektorganen. Die Abgrenzung zwischen PNS und ZNS ist rein topografisch; funktionell gesehen sind sie keine eigenständigen Systeme. Motorische Nerven haben zum Beispiel ihre Zellkörper im ZNS, während sich die Fortsätze (Axone) im PNS befinden. Bei sensiblen Nerven liegt der Nervenzellkörper oft im PNS, der Fortsatz führt jedoch ins ZNS.
Das somatische Nervensystem steuert die Motorik der Skelettmuskulatur und ist für willkürliche und reflektorische Körperaktionen verantwortlich.
Das autonome oder vegetative Nervensystem ist nicht willkürlich kontrollierbar und Teil des PNS. Es besteht aus drei Teilen: dem Sympathikus, dem Parasympathikus und dem enterischen Nervensystem.
Sympathikus (fight or flight):
- Der Sympathikus versetzt den Körper in einen Zustand erhöhter Leistungsbereitschaft und fördert den Abbau von Energiereserven. Diese Wirkung wird als ergotrop bezeichnet.
Parasympathikus (rest or digest):
- Der Parasympathikus ist der Gegenspieler des Sympathikus und fördert trophotrope Körperfunktionen, die der Regeneration und dem Aufbau von Energiereserven dienen. Er hilft, das innere Gleichgewicht (Homöostase) des Organismus wiederherzustellen.
Enterisches Nervensystem:
- Das enterische Nervensystem, auch “zweites Gehirn” oder “abdominal brain” genannt, ist ein komplexes Geflecht aus Nervenzellen, das den gesamten Gastrointestinaltrakt durchzieht. Die Anzahl der Neuronen entspricht etwa der des Rückenmarks.
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